_ Hohenberg

Gedenktafel 2023
Hohenberg im südlichen Niederösterreich wurde im April 1945 wenige Tage vor Kriegsende ein brutales Endphasenverbrechen verübt. Zwei Frauen und vier Männer, fünf von ihnen aus Südtirol, wurden von lokalen NS-Funktionären durch Morphiumspritzen getötet.
In Hohenberg im südlichen Niederösterreich wurde im April 1945 wenige Tage vor Kriegsende ein brutales Endphasenverbrechen verübt. Zwei Frauen und vier Männer, fünf von ihnen aus Südtirol, wurden von lokalen NS-Funktionären durch Morphiumspritzen getötet. Bereits seit Anfang der 1940er-Jahre hatte in Kleinzell im Kurort Salzabad ein Umsiedler:innenlager für „geisteskranke und schwachsinnige“ Südtiroler existiert, das teilweise mit bis zu 100 Personen belegt war. Die dort unterbrachten Menschen waren im Zuge der sogenannten „Optionslösung“ meist zwangsweise von Südtirol aus ins Deutsche Reich umgesiedelt worden.

Mordbefehl des NSDAP-Kreisleiters
Beim Näherrücken der sowjetischen Front im April 1945 wurde das Lager aufgelöst. Die Südtiroler Christian Knollseisen, Paul Forer, Andreas Resch sowie Alois und Katharina Platzer wurden ohne Pflege und Versorgung in Kleinzell zurückgelassen und auf Geheiß des Lilienfelder NSDAP-Kreisleiters Ludwig Uhl nach Hohenberg gebracht. In Hohenberg wurden sie vom Ortsgruppenleiter Franz Jaschke unter der Adresse Hohenberg Nr. 68 vorerst einquartiert. Uhl hatte am 12. April 1945, noch vor der Überstellung der fünf Südtiroler:innen nach Hohenberg, dem Amtsarzt von Lilienfeld, Hans Krainer, befohlen, die fünf Personen zu töten. Im Rahmen seines Volksgerichtsprozesses leugnete Uhl später, diesen Befehl gegeben zu haben. Krainer gab vor Gericht an, gegen den Befehl zunächst Einspruch erhoben, sich aber letztlich gefügt zu haben. Er sei nach Kleinzell gefahren, um die Personen oberflächlich zu untersuchen. Sie hätten an der Trinkerkrankheit Korsakoff, an „Altersschwachsinn“ und „Altersblödsinn“ gelitten. Die fünf Männer und Frauen wurden in weiterer Folge nach Hohenberg gebracht, wo von der SS inzwischen eine 21-jährige Frau unbekannter Identität aufgegriffen worden war. Die sechs Personen wurden im „Ausgedingehaus“ des Bäckermeisters Deimberger untergebracht.

Qualvolles Sterben
Am 21. April 1945 führte Krainer den Befehl Uhls aus und verabreichte den sechs Personen in Anwesenheit des Ortsgruppenleiters Jaschke sowie dreier – nicht namentlich bekannter – Volkssturmmänner der „Werwolfbewegung“ mehrere Morphiuminjektionen. Das Sterben der sechs Männer und Frauen war langsam und qualvoll: Vier Personen starben noch am Tag der Morphiumverabreichung, zwei jedoch erst am Tag darauf unter Krämpfen und Erbrechen. Zu diesem Zeitpunkt war der örtliche Totengräber Haberfellner bereits vom Gemeindesekretär davon in Kenntnis gesetzt worden, dass er sechs Leichen zu beerdigen hätte. Tatsächlich fand er im „Deimberger-Haus“ zwei der sechs Personen noch lebend vor. Der Hohenberger Gemeindearzt versicherte ihm, dass es keine Hoffnung mehr gebe und stellte den Tod aller sechs Personen fest – angeblich durch Fleischvergiftung. Um ihre Tat zu vertuschen hatten die Mörder am Tatort eine offene Dose mit Fleisch positioniert und den Ofen derart manipuliert, um eine Rauchgasvergiftung vorzutäuschen.

Nur zwei Täter zur Verantwortung gezogen
Obgleich mehrere Personen in die Mordaktion in Hohenberg verwickelt waren, wurden nur Krainer und Uhl vor Gericht gestellt. In seinem Urteil vom 5. März 1949 gegen Krainer schreibt der Richter: „Da der eigentliche Krankheitszustand der genannten Personen gar nicht einwandfrei und fachärztlich festgestellt war, hat der Angeklagte Dr. Krainer durch die Verabreichung der Morphiuminjektionen an die genannten Personen, wozu er weder einen Rechtstitel noch auch nach den Gesetzen der ärztlichen Kunst und Wissenschaft eine Berechtigung und Verpflichtung hatte, sich des Verbrechens des vollbrachten gemeinen Mordes schuldig gemacht.“  Krainer wurde zu zehn Jahren schweren Kerkers verurteilt, kam aber im August 1951 wegen Haftunfähigkeit frei. Im Februar 1952 verübte er – wie auch bereits seine Eltern kurz vor Kriegsende – in Lilienfeld Selbstmord. Krainer setzte seinem Leben mit einer Morphiuminjektion ein Ende. Der Befehlsgeber Ludwig Uhl erhielt per Urteil vom 5. März 1949 eine Strafe von 20 Jahren schweren Kerkers samt Vermögensverfall, erreichte aber im Herbst 1956 die Wiederaufnahme. Seine Haft wurde auf 12 Jahre reduziert und er kam im April 1957 auf Basis der damaligen NS-Amnestiegesetzgebung frei.
Der Hohenberger NSDAP-Ortsgruppenleiter Franz Jaschke, der bei der Ermordung anwesend war und sich danach öffentlich brüstete, dass „die Trottel hinüberbefördert“ worden seien, verübte kurz vor Einmarsch der Sowjettruppen Selbstmord, ebenso einer der drei Volkssturmmänner, die bei der Mordtat assistiert hatten. Die zwei weiteren Volkssturmmänner gerieten in sowjetische Gefangenschaft, ihr Verbleib ist unbekannt.

Mordaktion geriet in Vergessenheit
In Hohenberg geriet die Mordaktion für mehrere Jahrzehnte in Vergessenheit, ehe sie von dem Historiker Johannes Kramer im Jahr 2021 erstmals öffentlich thematisiert wurde. Er berichtet in dem Südtiroler Wochenmagazin „FF“ unter dem Titel „Die Trotteln hinüberbefördert …“ erstmals ausführlich über das brutale Endphasenverbrechen in Hohenberg. Fast exakt 73 Jahre nach der Mordtat, am 15. April 2018 setzte schließlich die Südtiroler Historikern Elisabeth Malleier – selbst Nachkommin eines der Mordopfer – vor Ort ein Zeichen des Gedenkens und ließ eine Gedenktafel an der Außenmauer der Hohenberger Aufbahrungshalle anbringen.
 
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